„Das Viagra des kleinen Mannes“

Schafflund, den 16. 08. 2022

Helga Pitroff klärt auf ihrer Kräutertour am Schafflunder Mühlenstrom darüber auf, welche Wirkung die Pflanzen am Wegesrand entwickeln können


Kaum sind die Teilnehmer des Kräuterspaziergangs am Treffpunkt Mühlenscheune eingetrudelt, gibt Helga Pitroff die Richtung vor: „Wir gehen erst einmal zur Wassermühle“, und schon setzt sich die zehnköpfige Gruppe in Bewegung. Noch gemütlich miteinander plaudernd, führt der Weg über das historische Kopfsteinpflaster, doch halt, schon hier beginnt der erste Stopp. „Schaut mal nach unten.“
Helga Pitroff schärft sogleich den Blick für das Unscheinbare: Zwischen den denkmalgeschützten Pflastersteinen wachsen Knöterich und strahlenlose Kamille, und mitten im alten Mahlstein hat sich ein rosa blühender Storchschnabel angesiedelt. Einige Meter weiter zeugt eine ehemalige Brachfläche von der Kraft der Natur, sich jede Fläche schnell zurückzuerobern. „Was auf so einer kleinen Fläche alles blüht“, staunen die Teilnehmer.
Doch es ist nicht nur der bunte Anblick von üppiger Schafgarbe, Feldstiefmütterchen oder Horn-Klee, der fasziniert, es sind vor allem die spannenden Erklärungen. Denn während Gartenbesitzer mit dem Beifuß eher auf Kriegsfuß stehen, erfährt man nun: „Sie ist eine meiner Lieblingspflanzen.“ Das Heilkraut unterstütze anregend die Verdauung und werde vielerorts deshalb fettem Braten beigegeben.
Interessant auch der Blick zurück: Als Rauchkraut wurde es im Altertum wegen seiner magischen Kräfte verwendet, böse Dämonen oder Krankheitserreger sollten vertrieben werden, ganze Ställe wurden ausgeräuchert. Von den Pionierpflanzen des mageren Bodens geht es anschließend weiter am Schafflunder Mühlenstrom entlang – mit einer ganz anderen Vegetation.
Verjüngende
BrennesselsamenBrennnesseln zum Beispiel, Indikatoren für stickstoffreichen Boden, sind den Anwesenden natürlich durch angesetzte Jauche und Ähnlichem bekannt, nicht jedoch die Wirkung der Samen. „Sie wirken verjüngend und stärkend“, erzählt Pitroff und fügt zur Belustigung aller hinzu: „Man nennt sie auch die Viagra des kleinen Mannes.“ In ihrem Kräuterspaziergang erfährt man eben nicht nur viel über die Wirkung der einzelnen Pflanzen bei Unpässlichkeiten oder Krankheiten, sondern ebenso manch Vergnügliches aus der Geschichte.
Als sie das Große Hexenkraut ankündigt, erwartet man eine imposante botanische Erscheinung – weit gefehlt. Klein und mit winzigen weißen Blüten kommt es daher, gilt im Übrigen nicht als Heilkraut, verspricht aber trotzdem eine großartige Wirkung. „Magische Kraft wird ihm nachgesagt“, sagt Pitroff und lacht. „Man trägt die Blüte bei sich und wirkt dadurch auf andere sympathischer.“ Auf jeden Fall ein guter Tipp.
Ein kulinarischer Vorschlag kommt von Sylvia Peters beim Anblick des Mädesüß: „Setzt man die Blüten mit Schlagsahne an, siebt alles durch und schlägt es auf, so hat man einen herrlichen Vanillegeschmack.“ In regem Austausch erfährt die Gruppe Wissenswertes über zahllose Pflanzen, ob Blüten, Blätter oder Wurzeln Heilkraft versprechen und wann man sie am besten erntet.
Vor allem stößt die Anleitung zur Teezubereitung auf großes Interesse. Ein Alleskönner scheint die Schafgarbe zu sein: „Es ist ein tolles Frauenkraut, stärkt das Verdauungssystem, den Kreislauf, und die Blätter wirken blutstillend.“
Bereits seit 30 Jahren geht Helga Pitroff auf Kräutertour, mit Erwachsenen und mit Kindergruppen. „Pflanzen haben mich schon immer interessiert, ich habe mir alles selbst angeeignet – aber es hat Jahre gedauert“, erzählt sie. Aber weil sie mehr über die heilende Wirkung im menschlichen Körper wissen wollte, entschloss sie sich, die Heilpraktikerprüfung abzulegen. Mit Erfolg. Seitdem führt sie Gruppen ihres Fachverbandes an verschiedene Orte vom Botanischen Garten in Kiel bis nach Haithabu. Haithabu ist ein gutes Stichwort, denn als Vorsitzende des Vereins „Valsgaard“ kümmert sie sich auch um den Garten in der wikingerzeitlichen Hofanlage in Wallsbüll.

 

Quelle - Helga Böwadt